Mit 400 PS durch die Nacht
Die hohe Kunst des Loipenspurens
Die Region Seefeld kurz hinter der bayerisch-tirolerischen Grenze ist berühmt für ihre Langlaufloipen. Jeden Morgen erwartet Gäste wie Einheimische ein frisch gewalztes Loipennetz von über 245 Kilometern. Wie das funktioniert und was es mit der hohen Kunst des Loipenspurens auf sich hat, erklärt Loipenchef Wolfgang Kratzer, den wir einen Arbeitstag begleitet haben.
Wolfgang Kratzer hat durch das große Panoramafenster des 406 PS starken Loipenfahrzeugs Prinoth Bison X den vollen Überblick. Auf dem Seefelder Sattel ist genug Platz für den blauen, etwa sechs Meter breiten Zehntonner, der in anderen Gebieten gerne zur Pistenpräparation hergenommen wird. Während der Fahrt wechselt der Blick des erfahrenen Loipenspurers immer wieder zwischen Rückspiegel, Display und dem SnowSat-Gerät, das per Satellit die genaue Schneehöhe unter ihm ermittelt. Als Loipenchef ist er von dem Gedanken besessen, perfekte Loipen zu präparieren. Das winterliche Panorama interessiert ihn an diesem Abend nicht sonderlich, der Ausblick dient dazu, das Gelände im Blick zu haben. Wenn andere in den Feierabend starten, rückt der 34-Jährige mit seinem Koloss aus und kriecht mit etwa 12 - 16 km/h über den Schnee. Ist die weiße Pracht hart gefroren, geht es manchmal auch nur halb so schnell. Sein siebenköpfiges Team, das mit den kleineren Geschwistern, den sechs Tonnen schweren, roten Pistenbullys 100 auf engeren Wegen unterwegs ist, hat er vorher auf dem 245 Kilometer großen Loipennetz zwischen Seefeld, Scharnitz und Leutasch verteilt. Ab 16:30 Uhr sind die Loipen für Langläufer, mit Ausnahme der Nachtloipe in Seefeld, gesperrt. Dann gehören die weiten, weißen Felder und dunklen Wälder den Spurern.
Es ist die äußere Ruhe und Freiheit, die Wolfgang Kratzer und viele seiner Kollegen an ihrer Arbeit lieben. Zwar gäbe es auch stressige Phasen, zum Beispiel bei der Beschneiung, wenn schwierige Wetterverhältnisse oder Neuschnee mitreinspielen. „Aber das ist kein Vergleich zu meiner Zeit als Koch. Du kannst die Prozesse nicht beschleunigen, denn die Maschine läuft nicht schneller.“ Besonders im Frühjahr, wenn die Temperaturen tagsüber über Null Grad klettern und abends schnell unter den Gefrierpunkt anziehen, ist das ganze Knowhow des Fahrers gefordert, mit dem er über den richtigen Präparierungszeitpunkt und Anpressdruck der Spurplatte entscheidet. „Da musst du den richtigen Moment zum Rausfahren erwischen, sonst machst du die Loipe eher schlechter als besser“. Technische Hilfsmittel und individuelles Wissen verschmelzen hierbei zu einer unzertrennlichen Symbiose. Bis zu sechs verschiedene Wetter-Apps nutzt Kratzer, um sich seine eigene Prognose zu mixen und sein Team einzuteilen. Wobei hier Flexibilität gefragt ist: Die Arbeitszeit kann mal vier, acht oder auch zwölf Stunden betragen, je nach Schnee-, Wind- und Temperaturverhältnissen.
Wolfgang Kratzer hat Feuer gefangen, seit er im Winter 2014 das erste Mal in ein Pistenfahrzeug gestiegen ist. Die Schlüsselqualifikation heißt hier Multitasking. „Ohne die Fähigkeit, vieles gleichzeitig im Blick zu haben, kannst du die Arbeit nicht machen“. Hier heißt es im selben Moment den das Schild und die Fräse bedienen, mit dem 4-Achsen-Joystick lenken, dabei das SnowSat im Blick haben und das Gelände nicht aus den Augen verlieren. In seinem Spurgerät bedient Kratzer mit der rechten Hand den in alle Richtungen beweglichen Multifunktions-Joystick. Damit steuert er Vorfräse, Spurplatte, Pflug und Klappfinisher. Der linke Arm liegt auf der Armlehne. Statt mit einem Lenkrad manövriert er das Schwergewicht mit zwei Lenkhebeln. Nicht jedermanns Sache, besonders das Rückwärtsfahren wird zur Challenge, denn jeder Hebel ist einer der beiden Schneeketten zugeordnet, die getrennt voneinander gesteuert werden.
Um eine gute Loipe für klassischen Langlauf und zum Skaten zu präparieren, beginnt die Arbeit bereits im Herbst. Nach der letzten Heuernte werden die Wiesen im Loipenbereich zum Schutz gemulcht. Im November steht das Loipenteam dann in den Startlöchern. Mit dem ersten Schneefall wird ein fester Unterbau erzeugt, der auf einigen Loipen mit technischem Schnee aus 80 Schneekanonen ergänzt wird. Eine achtzig Zentimeter dicke Schneeschicht verlängert die Saison im Frühjahr um ungefähr zwei Wochen. Nach einer Woche Präparierungsarbeit heißt es dann: „In die Loipe, fertig, los!“. Einen Frühstart in die Langlaufsaison ermöglicht die Snowfarming-Loipe in Leutasch. Bei geeigneten Witterungsverhältnissen wird dort Schnee aus der Vorsaison, der in einem großen Haufen über den Sommer unter Hackschnitzel gelagert hat, in den schattigen Waldschneisen verteilt und als erste Loipe präpariert.
Ist der Unterbau gemacht, studiert Loipenchef Kratzer für den Rest des Winters im Minutentakt die Wettervorhersage, der Arbeitstag dauert meistens vom Einbruch der Dunkelheit bis in den späten Abend. Zuerst wird der Schnee mit dem zwölffach verstellbaren Schild an der Fahrzeugfront gleichmäßig über die Strecke verteilt, um danach mit dem Track Dealer am Heck die Spuren neu zu ziehen. Die parallele Klassikspur wird von der Vorfräse vorausgefräst, die nur von wenigen Regionen eingesetzt wird und für eine besonders hohe Spurqualität sorgt. Mit den Hauptfräse-Finishern bestehend aus Spurplatte und Vorschneidern, wird die Spur perfekt vollendet. Wobei zuerst die Skating-Loipe und bei einer zweiten Durchfahrt die Klassikloipe gefräst wird. Den Rest übernimmt die Natur, die mit niedrigen Nachttemperaturen dafür sorgt, dass sich die Loipe verfestigen kann. Ambitionierte Langläufer, die spät am Abend mit Stirnlampe über die frisch präparierte Strecke skaten, sind den Nachtarbeitern ein Dorn im Auge. „Die machen unsere stundenlange Arbeit in wenigen Minuten für Hunderte von Langläufern wieder kaputt und wir müssen nochmal bis spät in die Nacht ausrücken“. Wenn für die Nacht Neuschnee angesagt ist, können die Loipenpräparierer hingegen einen Familienabend einlegen oder ins Kino gehen. Dafür klingelt sie der Wecker um 5 Uhr Früh aus dem Bett und der Loipendienst findet vor Sonnenaufgang statt.
Dann und wann schnallt sich Wolfgang Kratzer auch selbst die Langlauf-Ski an, um sein Werk zu begutachten, rein dienstlich, versteht sich. Am nächsten Abend nimmt er dann wieder auf seinem Technik-Thron im Loipenspurgerät Platz und bereitet den Traum in Weiß für glückliche Langläufer in der Region Seefeld.
Text: Monika Neiheisser