29. März 2023
Winter
Mexicans in Seefeld: Road to Olympia
Dass man auf den Loipen der Region Seefeld hochkarätige Spitzensportler beim Training trifft, überrascht eigentlich kaum. Dass dort auch zwei mexikanische Biathleten ihre Runden drehen, ist hingegen ziemlich ungewöhnlich. Was ihr Weg nach Olympia mit einem Tiroler Almabtrieb zu tun hat und warum Mexiko überhaupt ein Biathlon-Team hat? Ich durfte die beiden Ausnahmeathleten Chris und Raul bei einer Trainingspause in der Seefeld Sports Arena treffen.
Es ist einer dieser Wintertage, wo die Sonne schon ein wenig Frühling verspricht und der Himmel sich wolkenlos über die Loipen am Seekirchl spannt. 1964 und 1976 liefen hier die olympischen Winterbewerbe um die Wette, heute verbinden gut 245 perfekt präparierte Loipenkilometer die fünf Ortschaften am Hochplateau. Ein echtes Langlauf-Eldorado, freuen sich auch die beiden mexikanischen Biathleten Chris Gómez Mateos und Raul Antonio Figueroa, als sie mir auf der frisch gespurten A1-Loipe mit breitem Grinsen und noch breiteren Bärten geradewegs in die Arme laufen. Die gute Laune der beiden ist ansteckend und ihr Lachen genauso laut und echt, wie man es von zwei echten Caballeros erwarten würde. Ihr morgendliches Lauftraining haben die beiden für heute schon hinter sich, bevor es gleich zum Biathlon-Schießstand in der Seefeld Sports Arena geht, gibt’s aber erstmal Mittagessen – und das breite Grinsen der beiden wird gleich noch ein bisschen größer.
Vom Schießstand nach Seefeld
Von der Sonnenterrasse beim Tennisstüberl blickt man weit über die Loipen im Möserer Tal, am Waldrand erheben sich die beiden Skisprungschanzen, genau darunter liegt der Biathlon-Trainingsparcours. Wir sind schon echt weit gekommen, grinst Raul und lehnt seine Sportwaffe ganz vorsichtig an den Tisch. Ich bin völlig fasziniert von dem Hightech-Gerät, mit unseren traditionsreichen Tiroler Schützen hat diese Waffe tatsächlich wenig gemeinsam. Obwohl das Schießen hier lange Tradition genießt, fristet Biathlon vergleichsweise ein Nischendasein.
Davon können auch die beiden Biathleten ein lustiges Liedchen singen – begann ihre Karriere doch einst an einem Schießstand ebensolcher Tiroler Schützen. Als sie 2018 nämlich einen Almabtrieb im Zillertal besuchten, hatten sie dort irgendwann einfach genug Kühe gesehen und steuerten stattdessen zielstrebig eine Schießbude an. Dort trafen die zwei dann so erfolgreich ins Schwarze, dass der ebenso überraschte Betreiber ihnen direkt eine steile Biathlonkarriere voraussagte. Obwohl die beiden vorher noch nie auf einer Loipe standen, macht sie der Sport sofort neugierig. Der Rest ist heute längst Geschichte, grinsen die zwei Biathleten.
Des geat scho: Si, se puede!
Als 1988 eine jamaikanische Bobmannschaft internationale Schlagzeilen machte und mit Cool Runnings dann herrlich komisch in die Hollywood-Filmgeschichte einging, hielten das viele für einen Scherz: Wo kein Schnee, da kein Wintersport, so einfach ist das doch! Dreißig Jahre später starten diese zwei Mexikaner in Seefeld dann ein ganz ähnliches Kunststück, auch hier mit einem echt wahnwitzigen Ziel: Olympia. „Es ist doch genau dasselbe – nur mit Schießen und Schnurrbart!“, lacht Raul und Chris ergänzt: „Wir wollten die festgefahrenen Strukturen im Spitzensport brechen und damit auch anderen Mut machen, dass man echt alles schaffen kann: Si, se puede! Auf „funky German“ (Tirolerisch) in etwa „Des geat scho“! Mit den Trainingsmöglichkeiten in Seefeld sind wir aber auch echt verwöhnt – es ist jedes Mal wie nach Hause kommen.“
Mexican Biathlon Team - Chris und Raul
Höher, schneller, weiter Weg.
Dabei geht es den beiden keinesfalls ums „Stockerl“ (Siegespodest), sondern einzig um den Spaß am Sport. Statt schlappen zwei Kilometern in einer Stunde („auf allen Vieren wären wir schneller gewesen“) laufen die beiden Biathlon-Mexikaner ein Jahr später schon zehn. „Zu den Bewerben in Schweden und Norwegen fuhren wir in einem Leihauto, mit gebrauchten Rennanzügen und nur zwei Paar Ski.“ erinnert sich Chris kopfschüttelnd. „Wir sind eine crazy Two-Man-Show, haben jeder 40 Stunden Jobs, Chris ist inzwischen Vater geworden und dann war da ja auch noch Corona.“, gibt Raul zu bedenken.
Dass der Virus ihnen dann sogar einen Strich durch Olympia machte, lässt den mexikanischen Feuereifer trotzdem völlig kalt: „Cortina 2026, you can count on us!“, lassen die beiden Richtung Italien ausrichten. Und dann klicken auch schon die Schuhe in die Bindung, denn nach dem Mittagessen ist vor dem Training! Mir wäre Liegen zwar entschieden lieber, doch die beiden Biathleten legen ein echt gutes Tempo auf die Loipe. Als ich endlich schnaufend das Trainingsareal der Seefeld Sports Arena erreiche, stehen die beiden schon schmunzelnd am Schießstand. Ob die zwei hier auch im Sommer auf der Skiroller-Strecke trainieren? „Natürlich! Aber nur mit Vollvisierhelm und Mountainbike-Protektoren!“, lachen die beiden. „Vor allem bergab und bremsen ist auf Schnee so viel schöner – man fällt gleich so viel weicher.“, folgen lebhafte Erinnerungen.
Seefeld: Sport auf höchstem Niveau
Natürlich genießen die beiden im Spitzensport gewisse Freiheiten, von denen andere nur träumen können: Optimale Trainingsbedingungen in der Seefeld Sports Arena – hier dürfen nämlich auch blutige Anfänger zum Biathlon-Schnuppertraining, scherzen die zwei Profis. Auch beim Laufen sind sie völlig frei – im Winter auf den schier endlosen Loipen der Region und im Sommer auf der Skiroller-Strecke. Sogar ihr Style ist selbst entworfen und fällt auf – grün, violett und gold, geschmückt mit den Königsfedern der Azteken. So kann man die beiden sympathischen Spitzensportler von Seefeld bis Cortina überall sofort erkennen. Vor Olympia gehen die beiden aber erstmal beim nächsten Ganghoferlauf in Leutasch an den Start. Wir haben uns für den größten und ältesten Volkslauf Österreichs jedenfalls schon fix verabredet. Aber nur, wenn ich auch so einen Azteken-Anzug bekomme.
Mexican Biathlon Team - Konzentration vor dem Start
Chris sammelt Geschichten. Ob mit dem Bike, Snowboard oder Bergschuh - unterwegs in der Natur ist immer der Weg das Ziel. Das Büro passt ins Backpack, so ist man in der Welt zuhause. In Wort und Bild werden Augenblicke dann zu Erinnerungen und die schönsten Momente erzählen sich selbst. Am knisternden Kaminfeuer, unter funkelndem Sternenhimmel oder bei glutroter Abendsonne zwischen imposanten Alpengipfeln.
Blog Tags
Teilen