von Zeit.los Magazin
03. Januar 2018
WINTER
Als die Bretter wandern lernten
Die ersten Skiwanderer, die sich auf dem Seefelder Plateau tummelten, galten als kurios und auch ein wenig verrückt. Mit den Olympischen Spielen des Jahres 1964 änderte sich das. Als langjähriger TVB-Direktor hat Walter Frenes die Entwicklung angestoßen und begleitet. Wie ein unermüdlicher Prediger mit richtig viel Gespür für den Schnee am Plateau.
Ein Pionier: Walter Frenes
Portraitfoto von Walter Frenes
Das Bild des verschneiten Seefelder Plateaus ganz ohne Langläufer. Die Vorstellung mag so gar nicht passen, doch in Seefeld wie anderswo in den Tiroler Bergen entlockten diese eigentümlichen Gestalten mit ihren lustigen Mützen und den im Bart gefrorenen Kondensstreifen ein leicht arrogantes Naserümpfen. Sich mit Skiern an den Füßen in der Ebene zu bewegen. Das war für Anhänger des alpinen Skilaufs fast schon würdelos und wurde jedenfalls als kurios belächelt. So waren sie nun mal, die wilden Buben der Berge. Die ihren Wagemut an den zunehmend mit Liften erschlossenen Hängen unter Beweis stellten und ihre nordischen Kollegen, die Anfang der 1960er Jahre anfingen, stundenlang durch die Wälder zu marschierten um am Ende fix und fertig umzufallen, schlichtweg für verrückt hielten. „Wir waren bei einer Veranstaltung in Oslo. Da habe ich gesehen, wie die Leute hinaus in die Wälder gezogen sind – auf den Langlaufloipen. Das war für mich ein prägender Eindruck“. Blickt Walter Frenes zurück in die 1960er Jahre, als er infiziert wurde mit dem nordischen Virus.
FIS Wettkämpfe 1933 Utterstrom Schweden
Die große Chance
In Innsbruck standen für 1964 die Olympischen Winterspiele auf dem Plan und Seefeld war aufgrund seiner dafür perfekten geografischen Voraussetzungen dazu auserkoren worden, die nordischen Wettbewerbe auszurichten. Langlauf, Biathlon, Skispringen. Das Plateau musste vorbereitet werden. Diese Herausforderung führte den damaligen Direktor des damaligen Fremdenverkehrsverbandes Seefeld gleichsam zwangsläufig in den Norden Europas, wo dem Nordischen gehuldigt wurde wie hierzulande dem Alpinen. „Es war zu der Zeit schon klar, dass wir am Plateau im Alpinskilauf begrenzte Möglichkeiten haben und wir haben im Skiwandern eine Chance gesehen“, erklärt Frenes die Faszination, die ihn erfasste, als er die große Zahl Skandinavier gesehen hatte, deren Volkssport es war, die Freizeit auf Langlaufskiern zu verbringen.
Der Kult manifestierte sich bei dem Vollblut-Seefelder, der 1955 die Geschäftsführung des Tourismusverbandes übernommen hatte, und verwandelte sich zunehmend in eine an Obsession grenzende Vision. Seine extreme Einstellung war durchaus notwendig, hatte sich doch selbst bei den Olympischen Winterspielen des Jahres 1964 gezeigt, dass der Langlaufsport mehr als touristischer Gag empfunden wurde, denn als Möglichkeit, dem Plateau den entscheidenden Kick zu verpassen.
Auf dem hehren olympischen Treppchen waren damals Männer mit teils schwer auszusprechenden Namen gelandet – wie Eero Mäntyranta oder Klawdija Bojarskich, so gut wie alle Medaillengewinner der zehn nordischen Disziplinen stammten aus Skandinavien oder der Sowjetunion. Der Sieger der nordischen Kombination jedoch – der Deutsche Georg Thoma – darf im Rückblick wohl als gutes Omen für die Zukunft des Plateaus verstanden werden.
„Die Zuschauerzahl von 50.000 Menschen beim Skispringen ist mir in besonderer Erinnerung geblieben. Die sind von der Sprungschanze bis zur Sportalm gestanden und mittendrin war der Schah von Persien und seine Gattin Farah Diba“, erinnert sich Frenes gut an die Bilder, die damals nicht nur ihn, sondern die ganze Welt entzückten. Diese Olympischen Spiele hatten die Prominenz wie ein Magnet angezogen. Könige, Königinnen, Kronprinzen oder Prinzessinnen waren nach Tirol gereist, österreichweit wurde ein Run im Verkauf von TV-Geräten ausgelöst, die Tiroler Schulen waren generell geschlossen und in den Wiener Schulen durften die Schüler – kraft eines besonderen ministeriellen Erlasses – nicht nur die Eröffnungsfeier sondern auch andere Olympia-Ereignisse via Fernseher verfolgen.
Das Olympische Fieber wurde durch das erstmals im antiken Olympia entzündete Feuer angeheizt. „Es war ein Highlight“, weiß Frenes. Ein Highlight, das zur Initialzündung für den Langlaufsport am Seefelder Plateau wurde.
Mühsam aber erfolgreich
„Wie kein anderes Dorf im Alpenland hat es dieser Flecken verstanden, binnen weniger Jahre aus dem Skilanglauf – auf dem Seefelder Hochplateau spricht man mit unüberhörbarem urlauberfreundlichen Understatement vom Skiwandern – einen Kult und dazu ein gutes Geschäft zu machen“, hielt Sportjournalist Karl Morgenstern am 17. Januar 1975 in der deutschen Wochenzeitung „Die Zeit“ fest.
1975. In Seefeld und Innsbruck bereitete man sich auf die Olympische Winterspiele 1976 vor und in den elf Jahren, die seit den ersten Spielen vergangen waren, hatte sich einiges verändert. „Wir haben das mit dem Skiwandergestartet. Es war mühsam, aber es hat funktioniert. Fast bis zu den zweiten Olympischen Spielen hat es gedauert, bis es gegriffen hat“, sagt Walter Frenes. Wie ein Prediger sei er nach den ersten Spielen herumgefahren, hatte sich erkundigt, wie es die anderen machten, und bei den heimischen Sportgeschäften geradezu gebettelt, doch auch Langlaufskier anzubieten. Ablehnende und pur alpin verblendete Sturheit war die Reaktion, sodass sich der Tourismusverband zu cleveren Tricks gezwungen sah. Aus Norwegen wurden Langlaufskier importiert und ein begeisternder Mitarbeiter animierte die Gäste vor dem Seekirchl, dem Wahrzeichen des Ortes, dazu, sie doch kostenlos auszuprobieren.
Mosaiksteinchen für Mosaiksteinchen, mal offensiv mal subversiv wurde so an einer Sportart gebastelt, die dem Seekirchl bald als so bewegtes wie bewegendes Wahrzeichen Konkurrenz machen sollte. Die an Obsession grenzende Vision versetzte Berge und kitzelte zudem den Erfindungsgeist. Weil es anfangs noch keine Geräte gab, mit denen die Loipen präpariert werden konnten, wurden sie von den Seefeldern eben erfunden und als dann die erste österreichische Skifirma Lunte roch und damit begann, Langlaufskier zu produzieren, startete mit dem immer mehr in die Breite gehenden Sport auch das Seefelder Plateau durch.
In vielfacher Hinsicht prägten die Olympischen Winterspiele den Ort. „1964 wurde die Umfahrung von Seefeld im Osten gebaut. Vorher war der gesamte Verkehr durch Seefeld gegangen“, weiß Frenes. Und 1976? „Da wurde beispielsweise die Umfahrung für die Fußgängerzone gebaut. In dem Jahr waren wir der zweite Ort in den Alpen mit einer Fußgängerzone – nach Zermatt. Das alles hat uns auch ermutigt, das Sport- und Kongresszentrum zu bauen. Alle Infrastruktureinrichtungen, die für die nordischen Wettkämpfe gebaut wurden, wurden und werden genutzt.“ Nachhaltigkeit, das Leitmotiv für die nordische Ski-WM 2019, hat am Plateau eine lange Tradition.
Viel Pioniergeist
Wenn die Olympischen Winterspiele 1964 als Initialzündung für das beste Langlaufzentrum der Welt bezeichnet werden, dann brachten die Spiele des Jahres 1976 den Durchbruch. Die Zeit dazwischen füllt der Pioniergeist, für den Walter Frenes Pate steht. Wie später bei der Prägung des Plateaus als Golf-Destination hatte er zur rechten Zeit das richtige Gespür gehabt – für die Chancen, welche die Berglandschaft des auf 1.200 Höhenmetern gelegenen Hochplateaus bietet. Und wie später bei den Grundstücksverhandlungen für den Golfplatz so hatte er es auch bei der Planung und Umsetzung der Loipen verstanden, die vielen unterschiedlichen Köpfe unter einen Hut zu bringen. „Das hat mir immer Spaß gemacht. Langfristig zu denken war dabei immer die wichtigste Kategorie“, erzählt der 1937 Geborene.
Mit diesem Ansatz und dem unermüdlichen ganzkörperlichen Einsatz, der dem nordischer Athleten durchaus ähnelt, konnte sich die Region entwickeln, wie keine andere. Stand Mitte der 1970er Jahre bei guten Schneeverhältnissen schon ein bestens präpariertes Loipennetz von rund 80 Kilometern Länge zur Verfügung, so kann an den aktuell 256 Loipen-Kilometern ein Stück weit abgemessen werden, wie die Langlauf-Geschichte weitergegangen ist.
Alle Schwierigkeitsgrade können nordisch gelaufen werden, mit Hund oder ohne, in der Nacht oder bei Sonnenlicht, auf weltmeisterlichem Niveau oder in gemütlicher Stimmung. Immer wieder waren Großveranstaltungen Highlights, mit denen die Entwicklung vorangetrieben wurde. 1985 war Seefeld Austragungsort der FIS Nordischen Ski-Weltmeisterschaft, seit 2004 wird alljährlich der Weltcup „Nordic Combined Triple“ in der Olympiaregion Seefeld veranstaltet, 2012 strahlte sie neuerlich in den Farben der Olympischen Ringe, als die nordischen Wettkämpfe der Jugendwinterspiele hier ausgetragen wurden und mit der Nordischen Ski-WM 2019 steht das nächste große Ereignis auf dem Programm.
Über 50 Jahre, mehr als 245 Loipen-Kilometer und die Aussicht auf wieder eine mit den Weltbesten gespickte nordische Meisterschaft später hat sich das Bild total gewandelt. Das verschneite Seefelder Plateau ganz ohne Langläufer ist so unvorstellbar wie kurios. Und auch ein wenig verrückt.
Teilen