von Kathrin Ebenhoch
28. September 2023
Ganghofer-Hubertuswoche
Zusammenhalt und kritischer Austausch
Bei der Ganghofer-Hubertuswoche stehen Freundschaft, Zusammenhalt und die kritische Auseinandersetzung mit Natur-, Jagd- und Forstthemen im Vordergrund.
Zusammenkommen, in den goldenen Herbst hineinwandern, sich austauschen und dabei Neues lernen und erfahren - das ist das besondere Herbstgeschenk, das Hans und Monika „Bantl“ Neuner ihren Gästen jedes Jahr bei der Ganghofer Hubertuswoche in der Leutasch machen. Und das seit nunmehr 24 Jahren. Die Anstecknadel, die es zum Abschluss für alle fleißigen Teilnehmer gibt, ist weniger ein verdientes Abzeichen als ein Symbol für eine Woche voller Freundschaft. Kein Wunder also, dass so mancher Gast wie Horst Hoppe schon 23 davon an seinem Hut trägt.
Sofort willkommen!
„Wir freuen uns wirklich das ganze Jahr drauf“, ist das Erste, was mir die Stammgäste erzählen, als ich als Hubertuswochen-Neuling am Parkplatz Neuleutasch zu ihnen stoße. Die Sonne geht grad auf, lässt den Tau aus den Wiesen aufsteigen und taucht die bunten Herbstblätter in warmes Morgenlicht. Die warme, freundliche Stimmung, die mich am Parkplatz empfängt, ist nicht nur diesem wunderbaren Naturschauspiel geschuldet. Ich bin sofort willkommen, sofort Mitglied der Gruppe. Sie besteht heute aus rund 40 Teilnehmern, die sich fast alle schon länger kennen, um die Stärken und Schwächen der anderen wissen und Anteil daran nehmen. „Guten Morgen, wie geht es euch, habt ihr die Tour von gestern gut verkraftet?“ „Ach hallo, schön, dass ihr heute wieder mit dabei seid, wie war euer Ausflug gestern?“ Diese Sätze sind hier keine Floskeln. Vielleicht kommen gerade deswegen auch einige Gäste noch mit über 80 Jahren. „Leutasch und die Hubertuswoche bieten auch im Alter noch so viele Möglichkeiten“, schwärmt Rosi Berz, mit 83 eine der ältesten Teilnehmerinnen.
Kathrin Ebenhoch bei der Ganghofer-Hubertuswoche
Pointen und Kulinarik
Jede:n abholen und mitnehmen, das ist das Ziel von Hans und Monika. Darum gibt es während der Ganghofer Hubertuswoche längere Wanderungen gespickt mit ordentlich Höhenmetern, wie jene aufs Puitegg, aber auch gemütliche Spaziergänge, zwei Messen zu Erntedank und zu Ehren des heiligen Hubertus sowie zahlreiche Zusammentreffen zu Speis, Trank und Hoangart. Das „Kulinarium“, zu dem wir heute aufbrechen, ist eine Mischung: eine kurze Wanderung, an deren Ende der ehemalige Naturwirt Hans-Peter Auer „Leutascher Wildgröstl mit Spiegelei“ über dem offenen Feuer zubereitet. Auf dem Weg erklärt Hubertuswochen-Gründer Hans Flora und Fauna der Region und lässt immer wieder seine humorigen Pointen einfließen. So bleibt mir „Wo viel Mistus, da ist Christus“ im Ohr, was nichts anderes bedeutet, als dass Mist zum Düngen früher ein wertvolles Gut war.
Als wir uns der Hütte nähern, hören wir schon die Spiegeleier in der Pfanne brutzeln und ein köstlicher Geruch liegt in der Luft. Das Essen, alles bio und regional, schmeckt nach Leutasch, nach Heimat und echt – ein Genuss, wie man ihn heute nur noch selten auf den Teller bekommt. Nachdem die ersten Teller leer sind, geht’s ans Hoangarten (Ratschen). Andrea und Herijo Fescharek, die bis aus Rieseby (nördlich von Kiel) angereist sind, kommen seit zehn Jahren zur Hubertuswoche. Das erste Mal sei purer Zufall gewesen. „Wir haben gerade meine Familie in Telfs besucht, und die Woche einfach angehängt“ erzählt Andrea, die Tiroler Wurzeln hat, aber in ihrer Kindheit nach Hamburg zog. „Seitdem sind wir immer wieder gekommen.“ Und das obwohl sie wie so viele Teilnehmer weder beruflich noch privat etwas mit Jagd- oder Forstwirtschafts zu tun haben.
Die wahre Bedeutung der Jagd
Denn obwohl der Name Ganghofer-Hubertus-Woche und auch das Programm ihre Wurzeln in der Jagd- oder Forstwirtschaft haben, ist die Woche weit mehr als ein Treffen von Jägern und Förstern. Es ist eine Woche, in der es um die Natur als unseren Lebensraum geht. Hier wird erklärt, was Natur, Tiere und Klima für uns Menschen bedeuten und wie wichtig Jäger und Förster als Regulativ sind. Sie sind nicht, wie heute gern suggeriert, die Bösen, die lebende Bäume fällen oder Bambi erschießen, sondern die Guten, die unseren Lebensraum genau beobachten und pflegen. Hans, ehemals Berufsjäger und seit vielen Jahren Wander- und Gästeführer, sucht daher bewusst den Austausch und würde sich wünschen, dass auch Einheimische oder Tourismusangestellte am Wochenangebot teilnehmen. Ich kann ihm da nur beipflichten, denn so viel wie in meinen beiden Tagen Hubertuswoche habe ich selten über meine Heimat gelernt.
An meinem zweiten Tag Hubertuswoche, steht die Wanderung zum Puitegg auf dem Programm. Die morgendliche Begrüßung am Parkplatz zeigt liebevoll, dass ich Teil der Gruppe geworden bin: „Hi Kathrin, wie geht’s dir? Gröstl gut verdaut?“. Die Gruppe, die sich zur knapp 4-stündige Tour aufmacht, ist deutlich kleiner und fast ausschließlich mit Experten besetzt. Förster Dirk Schmidt aus Hessen, Metzger und Jäger Holger Ewald aus Frankfurt und Jäger Röbi Walser aus St. Gallen waren mir schon am ersten Tag aufgefallen: Ihre grüne Kluft und ihre Jagdhunde hatten sie verraten. Alle drei sind seit vielen Jahren bei der Hubertuswoche dabei. Röbi war bereits 1955 zum ersten Mal im Gaistal zu Besuch und ist seit seiner Jugend mit Hans befreundet. Holger ist irgendwie mit Bantls erwachsen geworden. „Für mich ist es echt emotional hier, ein bisschen wir meine zweite Familie.“
Lokalaugenschein Puitegg – Klimawandel in den Alpen
Die Zusammensetzung der Gruppe bestimmt am Puitegg die Themen: Standen beim gemütlichen Kulinarium Humor, Zusammenhalt und langjährige Stammgäste im Vordergrund, so sind es hier oben zwischen den schroffen Felswänden von Leutascher Dreitorspitz und Gehrenspitze die ernsten Themen: der Klimawandel, sein Einfluss auf Wild und Wald sowie die möglichen Folgen für uns Menschen in den kommenden Jahrzehnten. Hans hat dazu Michael Deutsch eingeladen, den ehemaligen Verantwortlichen für das Jagdrevier am Puitegg. Michael und Hans geben detaillierte Einblicke, die den schönen Herbsttag und die traumhafte Wanderung in einen der unberührteren Flecken Leutaschtal zwar nicht trüben, aber doch sehr nachdenklich stimmen. „Die höheren Temperaturen machen dem Steinwild, wie der Gams, das Leben schwer und bedrohen sie“, erklärt Deutsch. Das habe viele Gründe: Durch ihr Thermohaar können sie beispielsweise tagsüber nicht mehr fressen, sondern nur noch im Schatten ruhen. Die steigende, schnell wachsende Vegetation verengt außerdem den Lebensraum oberhalb der Baumgrenze und hat bei weitem nicht mehr denselben Nährwert. Das Steinwild flüchtet also in den Wald, was zu verstärktem Verbiss führt. „Die wärmeren Temperaturen gefährden den Wald aber ohnehin“, sagt Förster Schmidt. „Parasiten wie der Borkenkäfer leben in immer höheren Lagen und könnten in 20 Jahren in den Alpen ähnliche Schäden verursachen wie derzeit im deutschen Flachland, wo zehntausende Hektar Wald gefällt werden müssen.“ Bedenkt man die große Schutzfunktion des Waldes in unseren Tälern, ist das eine echte und sehr konkrete Gefahr für uns Menschen. Das Problem sei vor allem die Geschwindigkeit des Wandels, für die ganz klar unser Handeln verantwortlich sei, da sind alle einige. Denn diese nimmt Natur und Tier die Chance sich anzupassen.
Die aufgeworfenen Fragen und Themen beschäftigen mich noch lange. Doch auch die Eindrücke des Tages – vom morgendlichen Tau und den Nebelfetzen über das goldene Leuchten der Almwiesen bis hin zum Geruch des feuchten Waldes – bleiben im Gedächtnis. Ebenso wie der starke Gemeinschaftssinn, der bei der Hubertuswoche verschiedene Generationen, Berufe und Herkunftsregionen miteinander verbindet. Vielleicht ist es ja genau das, was es für einen nachhaltigen Wandel in unserer Gesellschaft bräuchte.
Gruppenfoto aller Teilnehmer:innen bei der Ganghofer-Hubertuswoche
Wichtig: Leider war die Jubiläumswoche von 1. bis 7. Oktober 2023 altersbedingt gleichzeitig auch ihre letzte Ausgabe. Hans und Monika „Bantl“ Neuner werden aber weiterhin die Leutascher Bergfrühlingstage sowie den Leutascher Kapellenadvent betreuen. Viele Themen der Hubertuswoche werden dabei vor allem bei den Bergfrühlingstagen weiter aufgegriffen werden.
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