von Tessa Mellinger
29. August 2018
REGIONS-ORIGINALE
Regions-Originale: Christine Ackermann und die Scharnitzer Alm
Eine Alm, auf der die Zeit scheinbar stehen geblieben ist: Das ist die Scharnitzer Alm. Wer hier einkehrt, findet zurück zum Ursprung – und eine richtig guate Jause. Almwirtin Christine und Hirte Roland haben die urige Alm vor dem Zerfall bewahrt und wieder zu dem gemacht, was sie einst war. Christine erzählt uns von Sommern voller Arbeit, dem Leben mit dem Vieh und warum man auf der Alm immer flexibel bleiben muss.
Almleben, wie es früher war
Wenn man auf die Scharnitzer Alm kommt, könnte man meinen, in einem anderen Jahrhundert gelandet zu sein. So urig, so ursprünglich liegt sie da am Beginn des Hinterautals und lädt herzlich zum Verweilen ein. Doch in diesem alten Glanz strahlte die Alm nicht immer. Als Christine Ackermann und ihr Lebensgefährte Roland sie im Jahr 2004 übernahmen, war sie in einem schlechten Zustand. „Es war ein halb verfallener Stadl“, erinnert Christine sich zurück. Mühevoll errichteten sie die Alm wieder zu dem, was sie einst mal war. „Heutzutage geht so viel Ursprüngliches verloren. Dieses Stückl Geschichte wollten wir wieder aufbauen.“, erzählt die Wirtin. So originalgetreu wie möglich sollte es werden. Das betrifft nicht nur das Äußere der Alm, sondern auch ihre Philosophie: Das Almwesen steht im Vordergrund, der Ausschank ist „nur“ begleitend – eben so, wie es auch früher war.
Hüttenwirtin Christine Ackermann von der Scharnitzer Alm im Karwendelgebirge
Weniger ist mehr
„Wir möchten den Leuten noch ein ursprüngliches Gefühl vom Almleben vermitteln.“, sagt Christine. Das betrifft auch das Essen, das sie anbietet. Ihre Karte ist deshalb eher klein. „Wir haben keine riesige Auswahl – aber das, was wir haben, ist wirklich gut, selbstgemacht und regional.“. Und damit hat sie wahrlich recht: Auf kaum einer anderen Alm isst man so „guat“ wie bei ihr. Den Ziegenkäse stellt sie selbst her, auch sonst achtet sie darauf, dass alle Produkte aus der Nähe kommen und beste Qualität haben. Weniger ist mehr, heißt es – bei Christine weiß man wieder, was dieser Spruch bedeutet.
Scharnitzer Alm im Sommer
Das Vieh ist das Wichtigste
Seit jeher ist das Vieh das Herzstück jeder Alm. Davon gibt es auf der Scharnitzer Alm viel: Insgesamt kümmert sich Hirte Roland um 60 bis 70 Rinder. Auf der Alm leben außerdem Ziegen, Schweine, Hühner, Katzen, Hund Amber – und ein Stier, der glaubt ein Mensch zu sein. „Das ist unser Schmuse-Stier!“, lacht Christine. „Er wurde mit der Flasche aufgezogen und glaubt seitdem wohl nicht mehr, dass er ein Stier ist.“. Auf der Weide war das ein Problem: Er lief ständig den Wanderern hinterher und fand nicht mehr zur Herde zurück. Deshalb lebt er nun bei den „Goasen“ (Ziegen) auf der Alm, wo er besser aufgehoben ist – und regelmäßig Schmuseeinheiten von Christine bekommt.
Der Rest der Rinder, die alle von Bauern aus Scharnitz kommen, leben auf dem Almgelände verteilt. Die Scharnitzer Alm ist eine Besonderheit: „Vom Gebäude ist die Alm sehr klein, das Gebiet jedoch sehr groß“, erklärt Christine. In 3 Gebietn (dem Hinterautal, dem Gleirschtal und im Hochwald) ist das Vieh verteilt. Es gibt keine klassischen Weideflächen mit grünen Almböden. So ist die Arbeit für Hirte Roland aufwändig. Es ist eine Herausforderung, auf dem großen Gebiet das Vieh stets zu finden. Doch seit einigen Jahren hat er einen ungewöhnlichen Gehilfen: Ein E-Bike! Mit diesem kommt er schnell, leise und umweltschonend zu seinem Vieh. So ganz wie früher ist das Leben auf der Scharnitzer Alm also doch nicht… 😉
„Auf der Alm, da musst flexibel sein!“
Das Leben auf der Alm ist immer wieder für eine Überraschung gut – das haben Christine und Roland in den Jahren auf der Scharnitzer Alm gelernt. „Da musst halt flexibel sein!“, lacht sie und zuckt mit den Schultern. Der Zeitplan ist straff und manchmal passieren Dinge, die man nicht recht planen kann. „Erst letzte Woche wurde ein Kalbl von der Herde getrennt“, erzählt Christine. Dann muss sie mit in die Berge, um Roland zu unterstützen. „Dann rennst halt 2,5 Stunden hinter so am Kalbl her“, schmunzelt sie. Aber: „Das Vieh geht eben vor!“. Im Laufe der Jahre haben die beiden sowieso allerlei erlebt. „Jedes Mal, wenn du denkst, das gibt’s ja nicht, passiert etwas Neues!“. Doch für Christine ist die Alm genau aus diesem Grund eine Schule fürs Leben: „Man sollte die Dinge so nehmen, wie sie kommen.“. Christine strahlt eine Ruhe und Zufriedenheit aus, die ansteckend ist. Über „hätte, würde, könnte“ macht sie sich keine Gedanken – vielleicht ist das der Schlüssel für ihre Gelassenheit.
Portrait von Christine Ackermann
Ein Sommer voller Arbeit
Der Arbeitstag auf der Alm beginnt schon früh morgens. Gegen 6 Uhr ist Tagwache: Die Ziegen wollen gemolken werden. Danach kümmert sich die Wirtin um das restliche Vieh, stellt Ziegenkäse her oder backt frische Kuchen, bis die ersten Gäste eintreffen. Ihr Arbeitstag kann bis halb 11 Uhr am Abend gehen, Pause kann sie nur machen, wenn es sich dazwischen eben ergibt. So geht es den ganzen Sommer, 7 Tage die Woche. Wochenende oder Urlaub? Gibt es im Sommer nicht. Doch: „Es is a schiane Arbeit, i tua sie wirklich gern!“, fügt Christine an. Bis in den Herbst hinein sind sie und Roland fleißig. Bevor der Schnee in den Bergen einzieht, wird das Vieh zurück ins Tal getrieben. Der Moment, wenn alle Kühe heile wieder im Stall angekommen sind, ist für Roland und Christine ein sehr emotionaler: „Dann stehen dir die Tränen in den Augen! Da kommt alles zusammen. Man ist erleichtert und traurig, der Sommer isch umma. Dieser Moment, wenn man das Gatter zu macht, ist ein Wechselbad der Gefühle!“ Doch sie wissen: Der Sommer kommt wieder!
Im Winter kann die sportliche Wirtin wieder Kraft tanken. Bei Skitouren entspannt sie vom arbeitsreichen Sommer und genießt die Ruhe in den Bergen.
Hüttenwirtin Christine Ackermann
Bewahren, was vom Aussterben bedroht ist
Neben all der Arbeit geht es Christine aber um etwas viel Größeres, Wichtigeres: „Mir geht es nicht nur darum, meinen Lebensunterhalt zu verdienen, sondern auch, etwas zu vermitteln und zu bewahren, was immer mehr vom Aussterben bedroht ist. Das ist meine Intention, die hinter allem steht.“ Dass sie die Scharnitzer Alm mit viel Liebe betreibt, merkt man in jedem kleinen Detail. Wohl deshalb fühl man sich gleich so wohl und aufgehoben in der kleinen Hütte am Beginn des Tales.
Die Speisekarte der Scharnitzer Alm an der Wand auf Holzbrettern
Jede Jause ein kleines Kunstwerk
Der Lebensweg der Almwirtin ist geprägt von glücklichen Umwegen: Eigentlich hat sie Kunst studiert und war freischaffende Künstlerin. Doch es zog sie wieder zurück in die Natur und so arbeitete sie zuerst auf der Pleisenhütte und der Oberbrunnalm, bevor sie die Scharnitzer Alm renovierte. Dass sie ein gutes Auge für Schönes hat, davon zehrt nicht nur die Alm, sondern auch jede einzelne Mahlzeit, die sie anrichtet. „Ich versuche, aus jeder Brettljause ein kleines Kunstwerk zu machen!“, erzählt sie mit einem Strahlen in den Augen. Das gelingt ihr – die Jausen sind nicht nur geschmacklich ein Hit, sondern auch fast zu schön zum Essen! Am Ende siegt aber natürlich der Geschmack.
Brettljause auf der Scharnitzer Alm
Christine und Roland haben mit der Scharnitzer Alm einen ganz besonderen Ort in den Bergen geschaffen: Die kleine Alm hat die Kraft, die Zeit für einen Moment stehen zu lassen, das Ursprüngliche zu bewahren und zurück zum Ursprung zu gehen. Wer hier rastet, kann den Alltag hinter sich lassen und Genuss und Ruhe finden.
Hände im frischen Brunnen
So kommst du zur Scharnitzer Alm:
Wanderung Scharnitzer Alm
Weiterführende Links:
Scharnitzer Alm
Wanderung in die Gleirschklamm
Verhalten in den Bergen: Verhaltensregeln für den Umgang mit Weidevieh
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