von Tessa Mellinger
10. September 2019
REGIONS-ORIGINALE
Bauer Thomas Nairz und der Almabtrieb
Der Almabtrieb ist jedes Jahr ein ganz besonderes Ereignis für die Hirten und Bauern in der Region. Nach einem Sommer in den Bergen kommen die Kühe wieder zurück ins Tal. Das wird traditionell beim Almabtrieb gefeiert. Bauer Thomas Nairz vom Lippenhof in Leutasch ist stets mit dabei und erzählt uns von dem jahrhundertealten Bauernbrauch und von seinem Leben auf dem Erbhof.
Aufi auf d’Alm
Jedes Jahr im Frühjahr heißt es für ca. 260 Kühe und einige Pferde aus der Leutasch: Die Alm ruft! Dort dürfen sie erleben, wovon wir doch alle insgeheim träumen: Den Sommer in den Bergen zu verbringen. Hoch oben, auf saftigen Almwiesen, mit einem herrlichen Ausblick und frischer Bergluft. Im Juni, wenn der Schnee geschmolzen ist, werden die Tiere auf die Alm gebracht. Dazu müssen sie einen langen Marsch hinter sich legen: 6 Kilometer lang ist der Weg bis in ihre Sommerresidenz, die Gaistalalm. Etwas später in der Saison geht es noch weiter hinauf auf die Rotmoosalm. Dort verbringen sie die Sommertage auf 2030 Metern. Thomas und die Bauern übergeben ihr Vieh in die Obhut der Hirten. Täglich schauen diese nach den Tieren und kontrollieren, dass alle gesund und munter sind.
Gegen Ende der Saison geht es für die Kühe wieder zurück auf die tiefer gelegene Gaistalalm. „2018 war das ein bisschen früher, weil wir in diesem Jahr im August schon einmal Schnee hatten“, erzählt Thomas. Der Bergsommer dauert drei bis vier Monate. Die Kühe müssen wieder in ihre Ställe, bevor der Schnee kommt und das Futter ausgeht. 2018 musste das Vieh noch ein wenig früher ins Tal als sonst: Der Sommer war trocken und das Futter neigte sich dem Ende zu.
Und so stand für die Hirten und Bauern Anfang September ein ganz besonderes Ereignis an: Der Almabtrieb!
Eine festlich geschmückte Kuh am Tag des Almabtriebs
„Da Somma isch umma!“ (Der Sommer ist vorbei!)
Wenn die Tage wieder kürzer und die Temperaturen kühler werden, merkt man es ganz schleichend: Der Herbst zieht langsam ein. Für die Kühe und Pferde bedeutet das die Rückkehr ins Tal und daher ist auch der Almabtrieb in Tirol das erste Anzeichen, dass der Sommer vorbei ist.
Ein Almabtrieb braucht einige Vorbereitung: „Am Tag vor dem Almabtrieb kommen die Bauern und Hirten schon zusammen. Die Kühe werden dann in einen Anger unterhalb der Gaistalalm zusammengetrieben“, erzählt Thomas. Am nächsten Vormittag geht die Reise richtig los: 120 Kühe bewegen sich in Richtung Tal. 120 Tiere, unter ihnen auch zahlreiche Kälber – wer Kühe kennt, der weiß, dass sie manchmal ihren ganz eigenen Kopf haben! Ein Almabtrieb verlangt daher von allen schwersten Einsatz und vollste Konzentration. Dass er stets reibungslos und ohne Probleme verläuft, liegt an der guten Zusammenarbeit. Gemeinsam helfen die Hirten, Bauern und Bäuerinnen, Jungbauern und Hunde mit, dass das Vieh gesund und munter in der Leutasch ankommt.
Alter Bauernbrauch: Die Kühe werden geschmückt
Zum Almabtrieb putzen sich alle fein heraus – auch die Kühe werden traditionell geschmückt. Doch richtig „aufgebüschelt“, wie sich das festliche Schmücken mit üppigen Blumen und großem Kopfschmuck nennt, wird nur, wenn alle Tiere gesund von der Alm zurückkehren. „Heuer sind leider zwei Kühe abgestürzt“, bedauert Thomas. Doch ein wenig wurden die Tiere schon festlich gemacht: Einige von ihnen durften verzierte Stirnmasken tragen, andere wurden traditionell mit Latschenreisig geschmückt.
Willkommen dahoam
Nach 6 Kilometern durch das Gaistal ist die Strecke zum größten Teil geschafft. Dieses Jahr war der erste Stopp beim Ganghofermuseum in Kirchplatzl. Schon von Weitem hört man die Truppe:
Das laute Bimmeln der Glöckchen, das Klappern der Hufe und die Rufe der Hirten kündigen ihre Ankunft an.
Zunächst werden die Kühe immer auf eine Weide weiter oben in der Leutasch getrieben. Hier sortieren einige Bauern ihr Vieh bereits aus. Der Rest der Herde darf kurz rasten, bevor die Reise talauswärts weitergeht. Auch die Bauern und Hirten legen eine wohlverdiente Pause ein und freuen sich, dass der Weg bis hierher gut verlaufen ist.
Abends, nachdem alle Kühe wieder in ihre Ställe und Weiden zurückgefunden haben, trifft sich die Gemeinschaft immer noch einmal zum Abendessen im Gasthaus. Es ist der Ausklang des Almsommers: Der Abtrieb wird gefeiert, die Geschichten des Sommers noch einmal erzählt und man weiß: Der Herbst ist nun da!
Hirten vom Almabtrieb
Ein Leben auf dem Hof: Thomas Nairz vom Lippenhof Leutasch
Der Almabtrieb 2018 war für Thomas bereits sein 10 Abtrieb. Er ist auf dem Lippenhof in Leutasch aufgewachsen. Bereits seit 277 Jahren ist der Erbhof in Familienbesitz – nun ist Thomas die nächste Generation, die den Hof weiterführt. Dass er den Hof einmal übernehmen würde, war für Thomas schon früh klar. „Naja, als ich ganz klein war, wollte ich Tischler werden – oder sogar Pfarrer!“, lacht er. Doch ab seiner Jugend wusste er:
„Im Grunde gab es nie ernsthaft eine andere Option, das ist es, was ich immer machen wollte.“
So kümmert Thomas sich nun um die 12 Kühe, Jungtiere und Kälber, die zum Hof gehören. Das Jungvieh verbringt den Sommer auf der Alm. Die sechs Milchkühe sind im Sommer auf der Weide. Sie müssen zwei Mal am Tag gemolken werden. „Bis vor einigen Jahren hat mein Vater das im Sommer noch mit der Hand gemacht“, erzählt Thomas. Doch das ist sehr viel Arbeit. „Ich habe auf der Weide eine Melkmaschine aufgestellt, die mit dem Traktor betrieben werden kann.“.
Thomas Nairz beim Melken im Stall
Frische Milch macht müde Männer munter!
Es gibt kaum etwas Besseres als ein frisches Glas Milch direkt vom Bauernhof! Genau deshalb gibt es beim Lippenhof einen Milchautomaten. Jeden Tag und zu jeder Uhrzeit kann man hier die Milch holen – ein Angebot, das von Einheimischen und Gästen dankbar angenommen wird.
Melken im Stall
Das Vieh und der Wald
Neben der Stallarbeit bestellt Thomas außerdem die Felder, macht Heu, stellt im Frühjahr die Zäune auf der Alm auf und erledigt viele andere Arbeiten, die auf dem Hof eben so anfallen. Doch die meiste und aufwändigste Arbeit ist die Holzarbeit. „Dank der Maschinen aber lange nicht mehr so aufwändig, wie es früher einmal war!“, sagt Thomas. Und dennoch: Für Thomas begann im Frühjahr 2018 ein arbeitsintensives Projekt. Im Gaistal wurde die Wald-Weide-Trennung initiiert. Hier haben die Bauern nämlich Weiderechte, ein Großteil ist davon jedoch Wald. So sind die Kühe auch im Wald, was diesem jedoch schadet. Deshalb ist man bestrebt, die Tiere aus dem Wald wegzubringen. Um den Wald zu schützen und den Kühen bessere Weiden zu bieten, bekommen die Bauern Weideflächen, die zum Teil noch gerodet werden müssen. So wird Thomas auch die nächsten Sommer daran arbeiten, saftige, grüne Wiesen zu schaffen, auf denen die Kühe ihren idyllischen Almsommer verbringen dürfen.
Ein Mann für viele Aufgaben – Thomas Nairz
Sommer & Winter
Sommer wie Winter beginnt Thomas’ Tag um 5 Uhr in der Früh und geht bis um halb 8 am Abend. Die Tage sind lang und oft von Wetter und Jahreszeit abhängig. Ist Regen vorhergesagt, muss noch schnell das Heu eingeholt werden oder die Erdäpfel (Kartoffeln) geerntet werden. Im Winter, wenn der Schnee oft meterhoch die Felder und Berge bedeckt, fallen die Feld- und Holzarbeit weg. Deshalb hat Thomas im Winter bis zuletzt als Skilehrer in Seefeld gearbeitet. „Das ist eine ganz andere Arbeit als die am Hof“, erzählt Thomas. Der Umgang mit den Gästen hat ihm Spaß gemacht. „Eine großartige Erfahrung und ich möchte sie nicht missen!“. Doch so war das ganze Jahr sehr arbeitsintensiv. Nun kann er im Winter auch einmal eine Skitour machen und Zeit für sich nehmen. Doch Thomas sagt: „Das Frühjahr ist mir schon lieber, wenn alles grün wird – und wenn das Vieh auf der Alm ist. Dort, wo sie sicher die schönste Zeit im Jahr haben!“ Und so zählen alle 260 Kühe in der Leutasch wohl schon jetzt die Tage herunter, bis es wieder heißt: Die Alm ruft!
Außerdem: Auf dem Lippenhof in Leutasch gibt es zwei Ferienwohnungen, in denen Gäste Urlaub machen können. Weitere Infos dazu findet ihr hier: Lippenhof Leutasch
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