von Kathrin Ebenhoch
18. April 2024
ein Projekt mit Zukunft
Die Plateau Pioniere
Im Mai 2022 formierte sich in der Region Seefeld – Tirols Hochplateau die Gruppe der Plateau Pioniere. Sie setzt sich aus derzeit sechs Hotelbetrieben, dem Tourismusverband und dem Naturpark Karwendel zusammen und versteht sich als Vorreiter, um die Region nachhaltig weiterzuentwickeln und die Treibhausgasemissionen bis 2030 deutlich zu reduzieren. Der Tourismusverband Seefeld, selbst ebenfalls aktives Mitglied der Gruppe, übernahm mit Lebensraum- und Nachhaltigkeitskoordinator Raphael Chrysochoidis zusätzlich die Leitung des Projekts. Im folgenden Interview nimmt uns der gebürtige Leutascher mit zu den Anfängen und in die Zukunft des Themas Nachhaltigkeit auf Tirols Hochplateau.
Wir acht waren die Vorreiter, nun brauchen wir mehr Mitstreiter für eine nachhaltigere Zukunft!
1) Wie bist du mit dem Thema Nachhaltigkeit verbunden?
Meine Eltern bewirtschafteten eine Alm im Gaistal, daher kam ich von Geburt an sehr stark mit den Themen Natur, Tourismus, Regionalität und damit zusammenhängenden Fragen in Kontakt. Immer wenn das Thema Nachhaltigkeit aufkam, nutze mein Vater gern das griechische Wort für nachhaltig – es heißt statheros. Er übersetzte es mit „beständig“. Mir gefällt diese Variante – bedeutet nachhaltig zu handeln doch, dass alles, was wir tun, Bestand für die Zukunft haben soll.
Meinen Berufsweg begann ich in der technischen Qualitätsabteilung einer Industriefirma. Dort spürte ich schnell, dass ich gerne unseren Lebensraum und somit mein „Dahoam“ weiterentwickeln würde, um auch künftigen Generationen so eine wunderbare Heimat bieten zu können.
2) Was ist der Hintergrund zum Thema Nachhaltigkeit im TVB?
Keiner startet bei Null und speziell uns hier auf Tirols Hochplateau liegt das Thema irgendwie schon in den Genen: Wir leben in einer naturverbundenen Region unter vielen bewusst nachhaltig denkenden Einheimischen. Heute verwenden wir Ausdrücke wie Biodiversität, soziale, ökologische oder ökonomische Nachhaltigkeit, Klimaschutz und so weiter. Im Grunde drücken sie aber nichts anderes aus, als das, was wir schon von unseren Großeltern gelernt haben: Natur, Regionalität, Tradition sowie einen bewussten Umgang mit, was wir zur Verfügung haben.
Auch im Tourismusverband wurde immer schon auf unser wertvollstes Gut, unsere Natur, unseren Lebensraum, geachtet. 2020 wurde schließlich Franz Straubinger vom Naturpark Karwendel eingestellt, um alle bisherigen Projekte und Bemühungen zu bündeln, dem ganzen einem Namen zu geben und zu versuchen konkrete Ziele festzulegen. 2022 kam ich als Lebensraum- und Nachhaltigkeitskoordinator mit an Bord. Seine und meine Arbeit führten schließlich Anfang 2023 zu unserer Echt Nachhaltig Strategie und unserem Aktionsplan.
3) Was sind deine Aufgaben als Lebensraum- und Nachhaltigkeitskoordinator?
Als Nachhaltigkeitskoordinator ist das Thema Programm, und da es derzeit in aller Munde ist, sind meine Aufgaben und Projekte weit gestreut. Prinzipiell orientieren wir uns als TVB an der Agenda 2030 der Vereinten Nationen und ihren 17 SDG’s. Meine Kernaufgabe zu Beginn war es, aus den zahlreichen Projekten, Initiativen, Ideen und Meinungen einen klaren Aktionsplan und damit letztendlich unsere Echt Nachhaltig Strategie auszuarbeiten.
Sie wurde Anfang 2023 fertiggestellt und umfasst unseren persönlichen SDG Kompass sowie unsere 4 Säulen der Nachhaltigkeit: Nachhaltiges Management, Sozial-ökologische Nachhaltigkeit, Ökonomische Nachhaltigkeit und Mobilität.
Diese Strategie ist mein Arbeitspapier oder meine Aufgabenliste. Der stetige Austausch mit unserem Team sowie die Ideenfindung und kritische Diskussion mit unseren Partnern und Experten auf Netzwerktreffen gehören ebenfalls dazu.
4) Wann entstand die Idee der Plateau Pioniere?
Die Idee der Plateau Pioniere entstand während des Übergangs von meinem Vorgänger Franz Straubinger zu mir. Ein großes Dankeschön an Franz für diese super Idee.
5) Wie hat sich die Suche nach den Pionieren gestaltet?
Natürlich hatten unser Vorstand und wir von Anfang an ein paar Vorreiterbetriebe im Kopf. Das Projekt wurde dann aber 2022 all‘ unseren Mitgliedsbetrieben vorgestellt und offen ausgeschrieben. So konnte jeder Betrieb unserer Region beitreten.
Die wichtigste Voraussetzung war die Bereitschaft zur Veränderung. Wer diese hatte, hatte die Einstiegsschwelle bereits überwunden. Gemeinsam mit einer Expertin für nachhaltige Entwicklung näherten wir uns dann Schritt für Schritt an. Denn die größte Herausforderung am Anfang des Projektes lag darin, dass das bereits bestehende Nachhaltigkeits-Niveau und die Ziele der teilnehmenden Betriebe sehr unterschiedlich waren. Wir mussten viele Gespräche führen, um die einzelnen Erwartungen an das Projekt zu verstehen. Der Weg war lang und teilweise auch steinig, aber genau deshalb sind wir nun so eine zusammengeschweißte Gruppe.
Die Diversität der Gruppe – sie reicht vom Zimmer mit Frühstück über 5-Sterne Hotellerie bis hin zum Naturpark Karwendel – ist mittlerweile unsere größte Stärke. Jeder kann von den Erfahrungswerten der anderen lernen. Der Naturpark dient dabei oft als unser Korrektiv. Wir als Tourismusverband sind vor allem Koordinationsstelle und Motivator, organisieren die Workshops und den immer wieder nötigen Austausch. Ferner nutzen wir unsere Kanäle zu aktiver Kommunikation und Vermarktung, und arbeiten wie alle Pionierbetriebe an unseren eignen „Nachhaltigkeits-Baustellen“.
6) Was waren die ersten konkreten Schritte?
- Mai 2022: Gründung der Gruppe sowie erster Workshop zu den theoretischen Grundlagen der Nachhaltigkeit
- Juni 2022: Beginn der Ermittlung des Co2 Fußabdrucks jedes Pioniers
- Oktober 2022: Workshop zum Thema Biodiversität unter der Federführung vom Naturpark Karwendel
- Dezember 2022: Workshop zur Definition der künftig zu bearbeitenden SDGs
- Januar 2023: Workshop zum Thema Food und Beverage
- März 2023: Workshop zum Thema Mobilität
- Sommer 2023: Erstellung der Leitbilder jedes Pioniers; Verleihung des Österreichischen Umweltzeichens an die Region Seefeld sowie zwei Pionierbetriebe
- März 2024: Workshop zum Thema Kommunikation
- April 2024: Start der Kommunikationsinitiative „Vorstellung der Plateau Pioniere“ durch den TVB
7) Im Sommer 2023 erhielt die Region Seefeld als erste Region überhaupt das Österreichische Umweltzeichen für Tourismusdestinationen. Was bedeutet diese Auszeichnung für die Gruppe? Wie steht es um die Umweltzeichen für die Betriebe?
Das Umweltzeichen für Tourismusdestinationen bekommt man nicht allein, weder als Gemeinde noch als Tourismusverband. Es wird an die Region in ihrer Gesamtheit verliehen und nur dann, wenn alle Akteure zusammenarbeiten. Das Projekt und die damit verbundene guten Zusammenarbeit zwischen TVB und Betrieben waren essentiell für die Auszeichnung der Region mit dem Umweltzeichen für Tourismusdestinationen. Wir haben hier wirklich ein hohes Tempo vorgelegt. Der Erhalt des Umweltzeichen war 2023 ein großer Meilenstein für uns. Er hat uns gezeigt, dass wir auf dem richtigen Weg sind, und motiviert uns diesen in Zukunft konsequent weiterzuverfolgen.
Die Ergebnisse der ersten zwei Projektjahre Plateau Pioniere sind wirklich gut. Die vielen Puzzleteile, an denen jeder einzelne gearbeitet hat, haben dazu geführt, dass bereits zwei der sechs Plateau Pioniere aus dem Beherbergungssegment im Sommer 2023 ebenfalls mit dem Österreichischen Umweltzeichen und dem EU Eco Label zertifiziert wurden. Die verbleibenden vier Betriebe haben 2023 ihren Antrag zur Zertifizierung eingereicht.
Als gemeinsames Projekt wurden in der Region der öffentliche Verkehr und die öffentliche Anreise fokussiert. TVB und Betriebe entwickelten ein gemeinsames Kommunikationspaket sowie spezielle Anreize für die Gäste, die sehr gut angenommen wurden.
8) Gib uns einen Ausblick in die Zukunft – wie geht es weiter?
Für die nächsten zwei Jahre liegt ein detaillierter, durch das Regionalmanagement geförderter Projektplan vor. Auf Basis der Erfolge der ersten beiden Jahre sind wir bereit und bereits dabei, erste konkrete Projekte für die Region umzusetzen.
Eines davon ist die Plateau Kartoffel. Zusammen mit fünf motivierten Landwirten und unseren Plateau Pionieren wurden im Frühjahr 2023 circa 2,5 t Kartoffel-Setzlinge an verschiedenen Standorten in unserer Region gesetzt. Nach intensiver Betreuung über den Sommer, konnten wir im Herbst 2023 zum ersten Mal ernten. Bei einem gemeinsamen Testessen mit hervorragenden Kartoffel-Gerichten wurden aus anfangs fünf Sorten zwei Favoriten ausgewählt, die 2024 wieder gesetzt werden. Die heurige Ernte wurde großteils von den Plateau Pionieren und weiteren regionalen Betrieben abgenommen und in besonderen regionalen Gerichten serviert. Da zu Beginn des Projekts noch leichte Probleme mit der Kalkulation und Logistik bestanden, haben sich die Plateau Pioniere und Landwirte im Sinne der sozialen Nachhaltigkeit dazu entschieden, zusätzliche 800 kg für Bedürftige an den Dinnerclub Innsbruck zu spenden.
Bei aller Euphorie dürfen wir aber unsere Hauptaufgabe für die kommenden zwei Jahre nicht vergessen: Wir müssen weitere Betriebe für unseren Weg begeistern und neue Mitglieder für unsere Plateau Pioniere Gruppe gewinnen. Wir acht waren die Vorreiter, nun brauchen wir mehr Mitstreiter für eine nachhaltigere Zukunft!
HINTER DEN KULISSEN
Einblick in den Tourismusverband Seefeld
Die Fakten in kompakter Form findet ihr im Steckbrief. Weitere Informationen zu den Plateau Pionieren gibt’s hier.
Wissenswertes auf einen Blick
Kurzinformationen
ÖSTERREICHISCHES UMWELTZEICHEN
Das österreichische Umweltzeichen ist ein seit 1990 international anerkanntes Gütesigel für ökologische Wirtschaft. Es wird von Verein für Konsumenteninformation überwacht und vom Bundesministerium für Klimaschutze, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie vergeben
Für Tourismusregionen und Beherbergungsbetriebe sind dabei strenge Kriterienkataloge mit knapp 120 Kriterien in den Bereichen Management, Sozioökonomie, Umwelt- und Klimaschutz, Biodiversität – Natur- und Landschaftsschutz, Mobilität und Kultur zu erfüllen. Energie und Klimaschutz haben als übergreifendes Thema das meiste Gewicht.
Genauere Informationen gibt es unter www.umweltzeichen.at
GHG PROTOCOL
Das GHG Protocol gilt als der verbreitetste Standard zur Erstellung von Treibhausgasbilanzen. Die Entwicklung des GHG Protocol wird vom World Resources Institute (WRI) und dem World Business Council for Sustainable Development (WBCSD) koordiniert. Das Protokoll erfasst in drei Scopes die CO2 Emissionen, wobei Scope eins uns zwei die eigenen Emissionen beziehungsweise, die durch Strom und Heizung zugekauften Emissionen umfassen. Scope drei schließt auch all jene mit ein, die bei Herstellung und Transport gekaufter Güter sowie bei Nutzung eigener Produkte oder durch deren Abfall entstehen. Im Tourismus fallen hier vor allem die An- und Abreisen der Gäste ins Gewicht. Die Plateau Pionier:innen haben sich zum Erfassen aller Emissionen in allen drei Scopes verpflichtet.
Genauere Informationen gibt es unter www.ghgprotocol.org
SUSTAINABLE DEVELOPMENT GOALS (SDGS)
Die Sustainable Development Goals (SDGs) sind die 17 globalen Ziele Nachhaltiger Entwicklung, die im September 2015 auf der Generalversammlung der Vereinten Nationen (UN) von 193 Mitgliedsstaaten beschlossen wurden und im Jänner 2016 in Kraft traten.
Die Plateau Pionier:innen fokussieren sich vor allem auf die Ziele menschenwürdiges Wachstum im Tourismus (SDG 8), regionale Produktion und bewusster Konsum (SDG 12), aktiver Klimaschutz (SDG 13), sowie den Erhalt und die Förderung der Biodiversität (SDG 15).
Genauere Informationen gibt es unter www.sdgwatch.at